Meister Eckhart

Meister Eckhart

Spiritualität für Manager

Meister Eckhart — Magister, Mystiker, Manager
Meister Eckhart war eine der herausragenden Gestalten des Mittelalters. Aus niederem Adel geboren, hochbegabt, machte er eine steile Karriere in gleich drei Bereichen: Er war Professor der Theologie an der damals hochberühmten Pariser Universität, der Sorbonne, zugleich als Ordensgeistlicher des Dominikanerordens ein begnadeter Seelsorger und Prediger, und schließlich war er für die Leitung der deutschen Provinzen des Dominikanerordens zuständig. Er war, um es kurz zu sagen, Magister, Mystiker und Manager.
Als Magister hatte er für eine gediegene akademische Ausbildung der Theologiestudenten zu sorgen und die Theologie wissenschaftlich mit der Philosophie und den anderen Wissenschaften in einen Dialog zu bringen, Kommentare zu biblischen Büchern zu schreiben und sich zu dogmatischen Streitfragen zu äußern.

Meister Eckhart — ein weltgewandter Lebemeister
Eckhart war kein trockener theologischer Stubengelehrter, ein Lesemeister, wie er dies selbstironisch nennt, sondern von einer tiefen spirituellen Erfahrung der Präsenz Gottes durchdrungen. In diesem Sinne nennt er sich selbst einen Lebemeister. Als spiritueller Wegführer half er den ihm anvertrauten Menschen auf dem Weg zu Gott. In seinen sprachgewaltigen Predigten spürt man heute noch die Glut Gottes und den Enthusiasmus, mit dem er seine Zuhörer nicht nur rhetorisch zu fesseln wusste, sondern auch die Funken ihrer Seelen zum Glühen und Leuchten brachte.
Schließlich war Meister Eckhart auch in vielfältiger Weise Manager. Er hatte als Ordensmann für den Aufbau von neuen Klöstern zu sorgen, musste mit Städten über Nutzungsrechte verhandeln, die ökonomische Basis der Klöster sichern, bei Streitigkeiten schlichten und Krisenmanagement betreiben.

Meister Eckhart — Verkörperung integraler Spiritualität
Schon an der erfolgreichen Kombination dieser drei Aufgaben sieht man, was er uns heute sagen kann. Ihm gelang, was den wenigsten Menschen heute wirklich gelingt: die Integration der drei wichtigsten Aspekte des Menschseins — des Denkens (Magister), des Erlebens (Mystik) und des Handelns (Management) — zu einer »integralen Spiritualität«.
Diese integrale Spiritualität ist für uns heute nötiger denn je, um ein Gegengewicht zur zunehmenden Zersplitterung unseres Lebens zu bilden. Der Intellektuelle bleibt in seinen Gedankengebäuden gefangen und kommt nicht zum Handeln, der Erlebnishungrige jagt immer neuen Erfahrungen hinterher und kommt nicht mehr zum Denken, der Manager steht unter einem permanenten Handlungsdruck, verliert die Übersicht und gelegentlich auch die Erlebnistiefe.

Meister Eckhart — wie kann er mir helfen?
So kann uns Eckhart zur Selbsterkenntnis verhelfen: Wo stehe ich selbst als Denkender, Erlebender, Handelnder? Wo habe ich meinen Schwerpunkt? Wo sind meine Defizite?

 

Führen durch »Integrale Spiritualität«
Es gibt viele Methoden des Führens, aber was haben Spiritualität und Glaube mit Führung zu tun?

Problemstellung

Führung und Belastung
von Prof. Dr. Wolfgang Achtner

Eine Führungskraft ist heute vielfältigen Belastungen ausgesetzt: Arbeitslast, Verantwortung, Zeit- und Entscheidungsdruck sowie permanentes Effizienzdenken zehren an den Nerven.
Diese Dauerbelastung hat ihren Preis! Sei es gesundheitlicher Art (Burnout, Erschöpfungssyndrome), sei es, dass die Work-Life-Balance aus den Fugen gerät, die Familie leidet, sich in Krisensituationen die Sinnfrage stellt, dass man angesichts des Tunnelblicks die Übersicht verliert oder schlichtweg in einem schleichenden Prozess die Lebensfreude abhanden kommt. Lebensfreude und Lebensgenuss sind aber gerade die Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren im Beruf.

Neuorientierung: Integrale Spiritualität
Manch ein Manager hat aber schon die Zeichen der Zeit erkannt — und die Bedeutung der »weichen Erfolgsfaktoren«, die immer mehr zunimmt. Diese Faktoren lassen sich stichwortartig in der Idee der »Wahrnehmung des Ganzen« zusammenfassen. Die Fähigkeit zu dieser Wahrnehmung gründet in einer »Integralen Spiritualität«. Sie ist die Voraussetzung für die eigene Führung: denn nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen.

Folgende psychologische Elemente sind die Voraussetzung dafür, eine solche Wahrnehmungsfähigkeit für das Ganze und damit die Selbstführung zu trainieren:
Einheit von Denken, Fühlen, Wollen (Hirn-Herz-Hand)
Balance von Aktion und Kontemplation
Zugang zum eigenen inneren Selbst, um auf diese Weise aus der eigenen Mitte und Tiefe selbstgesteuert zu handeln.

Die eigene Tiefe erreichen
Wer auf diese Weise in sich selbst ruht und zu den eigenen inneren Quellen der Kraft im Sinne der »integralen Spiritualität« vorgedrungen ist, strahlt dies auch in seine Umgebung aus und wirkt gleichermaßen beruhigend und stimulierend: ideal für kreatives Denken und Handeln. Sie können übrigens selbst testen, wie weit Sie auf dem Weg der »Integralen Spiritualität« fortgeschritten sind.

Lösungsansatz
Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, der an den spirituellen Dimensionen des Menschseins ansetzt …
 
Glaube und Spiritualität
von Prof. Dr. Wolfgang Achtner
Wir leben in einer Zeit eines tiefgreifenden Bewusstseinswandels. Die intellektuellen und psychosozialen Anforderungen an Führungspersönlichkeiten steigen ständig. Ich würde von der Notwendigkeit einer »multidimensionalen Führungspersönlichkeit« sprechen, um diesen Bewusstseinswandel zu gestalten. Eine solche Anforderung setzt meines Erachtens dreierlei voraus.
Erstens eine gereifte »integrale Spiritualität«. In ihr stehen die anthropologischen Grundstrukturen des konzeptionellen Denkens, der Emotionalität, des Handelns und der empathischen Erlebnis- und Kommunikationsfähigkeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander.
Für mich ist in dieser Hinsicht Meister Eckhart vorbildlich. Er hatte offensichtlich eine solche integrale Spiritualität. Jedenfalls gelang es ihm, seine drei Berufe — den des Professors der Theologie an der Sorbonne mit dem eines begnadeten Seelsorgers und Predigers sowie dem des Managers einer ganzen Ordensprovinz mit ihren ökonomischen, juristischen und geistlichen Aufgaben miteinander zu verbinden.
Diese integrale Spiritualität kann sich zweitens nur entwickeln, wenn man in sich selbst ruht und gegründet ist. Dies setzt die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung voraus.
An dieser Stelle kommt die meditative Praxis ins Spiel, denn sie schult die Selbstwahrnehmung und schließt die inneren Quellen der Kraft, der Kreativität und des Durchhaltevermögens auf. Ein solcher, in sich ruhender Mensch steuert sich selbst von innen heraus und ist auf diese Weise weniger anfällig gegenüber den Wechselfällen des Lebens mit seinen wechselnden Moden und Befindlichkeiten, der permanenten Berieselung von außen und dem Terror des Heischens nach Aufmerksamkeit.
Wer drittens an seiner eigenen »integralen Spiritualität« täglich arbeitet und auf diese Weise immer mehr seiner eigentlichen Bestimmung dient, der merkt, dass er letztlich nicht aus sich selbst heraus lebt, sondern in einer größeren Macht gegründet ist. Die Religionen sprechen hier von Gott und dem Glauben an ihn. Der Glaube an Gott befreit von den Zwängen dieser Welt, eröffnet Zukunft, er befreit von einem krankhaften Perfektionismus zu einem gesunden Selbstbewusstsein und einem engagierten Handeln in dieser Welt. Der Glaubende lebt in einer dreifachen Beziehung: der zu sich selbst, zum Mitmenschen und zu Gott. Das ist eine gesunde Basis, um den anstehenden Bewusstseinswandel zu vollziehen.

GlaubensGenuss — Meisterliche Lebenshilfen

Mobil sein bedeutet auch Freiheit — die zum Teil auf Gottes Gnade zurückzuführen ist, wie schon Meister Eckhart im 13. Jahrhundert predigte.

Meister Eckharts Seelenführung
von Prof. Dr. Wolfgang Achtner  (Link zur Bio)

Meister Eckhart hat mit seinen Predigten vielen seiner Zuhörer psychologische und spirituelle Hilfestellungen gegeben, den Weg in die eigene Tiefe, zur eigenen inneren Kraft und damit zu einem erfahrungsbezogenen Glauben an Gott zu finden. Im Folgenden sei ein Zitat vorangestellt, das auch für uns Heutige Wege zur inneren spirituellen Entwicklung zeigen kann:

»Nun gebt Acht! Ihr müsst dies wissen: Die Menschen, die sich Gott überlassen und mit allem Fleiß nur seinen Willen suchen, was immer Gott einem solchen Menschen gibt, das ist das Beste.«
Meister Eckhart: Predigt 4 über Jakobus 1,17 (Alle Predigten sind zitiert nach der Ausgabe von Josef Quint im Deutschen Klassikerverlag.)

Quelle der Gelassenheit
Erfahrungsgemäß läuft nicht immer alles so im Leben, wie man es sich vorstellt und wünscht. Ein Großteil der Businesspläne geht schief, und auch im persönlichen Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Woran liegt das? Vielleicht ist einer der Gründe der, dass wir mit unseren Konzepten und Ideen Kontrolle über die Wirklichkeit ausüben wollen.
Kontrolle ist sicher wichtig. Aber sie kann auch die Wirklichkeit verzerren, vergewaltigen oder gänzlich an ihr vorbeigehen. Dann ist der Misserfolg vorprogrammiert. Meister Eckhart stellt hier ein psychologisches Gegenkonzept vor. Statt Kontrolle fordert er indirekt auf, die Kontrolle aufzugeben und sich einem anderen Lebenskonzept anzuschließen, das er Überlassenheit nennt: das bedeutet, sich dem Fluss des Lebens, im Idealfall sich Gott zu überlassen. Eine solche Lebenseinstellung befreit dazu, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen: und das ist die wahre Quelle der Gelassenheit.

Das aufgeblähte Ego und der innere Unfriede
Neben seinen inspirierenden Predigten hat Meister Eckhart auch Abhandlungen über die seelische Entwicklung des Menschen geschrieben. Sie zeugen von psychologischem Feingefühl und gelten heute wie damals. Eine dieser Abhandlungen trägt den Titel: »Von ungelassenen Leuten, die voll Eigenwillens sind.«
Gelassenheit — heute in aller Munde angesichts der Hektik und großen Beanspruchung des Menschen — ist eine Entdeckung des vielbeschäftigten Managers, Magisters und Mystikers Meister Eckhart. In diesem Traktat schreibt er folgendes über die Gelassenheit:

»Niemals steht ein Unfriede in dir auf, der nicht aus dem Eigenwillen kommt, ob man’s nun merke oder nicht. (…) Darum fang zuerst bei dir selbst an und lass dich. (…) Er soll zuerst sich selbst lassen, dann hat er alles gelassen. (…) Lässt der Mensch aber von sich selbst ab, was er auch dann behält, sei’s Reichtum oder Ehre oder was immer, so hat er alles gelassen.«
(Meister Eckhart, Traktat 3)

Meister Eckhart spricht diese Worte in seinen Reden der Unterweisung an junge Mönche. Ein psychologischer Topos des klösterlichen Lebens ist die Überwindung des Eigenwillens, um dadurch zum inneren Frieden zu gelangen. Eckhart knüpft hier an, geht aber dann im Unterschied zur klösterlichen Tradition eigene Wege, indem er beispielsweise eine übertriebene Askese als Mittel zur Überwindung des Eigenwillens ablehnt.
Mit der psychologischen Forderung zur Überwindung des Eigenwillens steht Eckhart quer zu den Werten unserer Zeit: in unserer Gesellschaft kommt es gerade darauf an, sich selbst durchzusetzen, das Ego zu pflegen, was sich leicht in Statussymbolen und den allgegenwärtigen Rankings bemerkbar macht.
Nichts gegen Leistung! Die Frage ist nur, aus welchen Quellen sie sich speist.

Das zurückgetretene Ego und der innere Friede
Hat diese Hochschätzung des Egos aber nicht einen unverhältnismäßig hohen Preis? Eckhart spricht vom Unfrieden, der aus dem Eigenwillen kommt. Mir ist dieser Preis zu hoch. Ich habe entdeckt, wie jeder Mensch ohne großen Aufwand etwas gegen zu viel Eigenwillen tun kann: Es ist die Schulung der — ungeteilten — Aufmerksamkeit bei jeder Tätigkeit, die das Ego zugunsten einer größeren Ganzheit  — und in Konsequenz eines größeren inneren Friedens — zurücktreten lässt.

Vom Unfrieden zur Gelassenheit
Unrast, Unfrieden, Unruhe — das sind die drei »Us« des unglücklichen Lebens. Jeder Mensch sucht das Glück, jeder auf seine Weise, aber wenige sind es, die es tatsächlich finden. Der eine sucht es in der Karriere, der andere in der Zerstreuung, der dritte im permanenten Unterwegssein. Das Rad dreht sich immer schneller, die Unzufriedenheit nimmt zu. Irgendetwas läuft schief — aber was?

Von dem Mathematiker Blaise Pascal ist die Einsicht überliefert: »Das Unglück vieler Menschen rührt daher, dass sie nicht in der Lage sind, auch nur eine Stunde ruhig im Zimmer zu sitzen.« Man kann ergänzen: und sich in dieser Stunde auszuhalten. Der erste, oft schmerzhafte Schritt zum Glück liegt in der Konfrontation mit sich selbst. Oft ist eine übertriebene Aktivität nur eine kaschierte Flucht vor sich selbst.

Diese Flucht gilt es zu beenden, indem man sich seinem eigenen inneren Unfrieden, seiner Unrast, seiner Unruhe stellt. Tut man dies, dann wird einem als erstes klar, dass es die eigene innere Befindlichkeit ist, die man den Dingen oder seinen Mitmenschen anlastet, wenn es nicht rund läuft.
»Du verhältst dich verkehrt zu den Dingen«, ist die Einsicht Eckharts. Und es folgt auch sogleich die Therapie: »Lass dich.« Suche Gelassenheit.
Gelassenheit ist etwas anderes als Gleichgültigkeit, sondern im Gegenteil eine Form höchster Aufmerksamkeit gegenüber den eigenen inneren seelischen Zuständen — keine narzisstische Selbstbespiegelung.

Vielmehr: Wer lernt, sich selbst auszuhalten, merkt im Laufe der Zeit, dass er sich verändert. Als erstes tritt der schlimmste steinzeitliche Antreiber zurück, der uns immer wieder in die Last der drei Us treibt: Der »flight or fight«-Reflex. Wer Gelassenheit lernt, gewinnt ein neues Verhältnis zu sich selbst, den Dingen und den Menschen. Er flieht nicht mehr vor sich selbst, den anderen und seinen Aufgaben, und er steht nicht mehr unter ständigem Adrenalinschock. Gelassen wird er zum Ruhe- und Mittelpunkt der Menschen, die nun diese heilsame innere Ruhe spüren — und auch gerne entwickeln wollen.

Ewigkeit in der Zeit
Wer kennt das nicht? Zeitdruck! Hetzen von Termin zu Termin, von Aufgabe zu Aufgabe! Hätte man doch mehr Zeit: am besten eine Ewigkeit.
Die Ewigkeit stellen sich viele Menschen als einen unendlich gedehnten Zeitraum vor oder als eine Dimension, die nach dem Leben beginnt — oder auch nicht. Meister Eckhart hat hier eine vollkommen andere Sicht.
Für ihn beginnt die Ewigkeit nicht jenseits der Zeit, sondern in der Zeit. Genauer gesagt, die Ewigkeit beginnt jetzt! Wie ist das möglich?
Üblicherweise verstehen wir das Jetzt als einen flüchtigen Augenblick, der sich schnell in der Vergangenheit verliert, weil wir ihn mit unserem Bewusstsein nicht festhalten können. Mehr noch, wir sind nicht trainiert, mit unserem Bewusstsein vollkommen in der Gegenwart zu leben. Entweder wandern wir mit den Gedanken in die Vergangenheit aus oder in die Zukunft. Daher leben wir eigentlich nie: denn Leben vollzieht sich nun einmal nur im gelebten Augenblick.

Aufmerksamkeit und Zeit
Daher ist der erste Schritt zur Ewigkeit die vollkommene Aufmerksamkeit in der Gegenwart. Versuchen Sie es einmal! Sehr schnell werden Sie merken, wie schnell Sie in die Ablenkungsfalle gehen. Sehr bald sind Sie mit den Gedanken woanders — in der Zukunft, in der Vergangenheit oder beim nächsten Projekt. Die bewusste Wahrnehmung der Gegenwart ist daher eine Aufgabe, die täglich trainiert werden muss. Wer hierin Fortschritte macht, wird eine interessante Erfahrung machen: Die Zeit dehnt sich! Und damit stellt sich die erstaunliche Fähigkeit ein, in sehr viel weniger Zeit sehr viel mehr zu bewältigen.
Nichtablenkbarkeit heißt Zeitgewinn — und das alles ohne aufwendiges Zeitmanagement und Terminplaner. Je mehr man diese Aufmerksamkeit für die Gegenwart trainiert, desto leichter stellt sich die Fähigkeit der Zeitsouveränität ein — und damit öffnet sich sukzessive das Tor zur Ewigkeit und zur Kraft Gottes, wie Eckhart es vorgelebt hat.
Für meinen Alltag: Ich beginne heute damit, alle meine Tätigkeiten mit voller Aufmerksamkeit auszuführen, ohne mich ablenken zu lassen.

Vom strategischen Denken zur Absichtslosigkeit
Strategie ist ein Begriff aus der Welt des Militärs, wird aber seit einiger Zeit auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen gebraucht. Das ist gewiss verständlich, wenn es um die »Eroberung« von Märkten oder die »Verteidigung« von Marktanteilen an der Frontlinie des täglichen Kampfes ums wirtschaftliche Überleben geht. Merkwürdig ist allerdings, dass neuerdings das Wort Strategie sogar in den Bereich der Bildungspolitik Eingang gefunden hat. Man hört Formulierungen wie die »strategische Positionierung« einer Universität. Es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis auch in der Liebe — zumal bei Partnervermittlungen — von »strategischer Positionierung« die Rede sein wird, um sich auf dem Markt der Liebe zu behaupten und eine günstige Akquisition zu tätigen.
Was geht hier vor? Lassen wir dazu einen kurz Text von Meister Eckhart auf uns wirken.

»Wer das Leben fragte, tausend Jahre lang: ‚Warum lebst Du?’ Könnte es antworten, es spräche nichts anderes als: ‚Ich lebe darum, dass ich lebe.’ Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt und aus seinem Eigenen quillt, darum lebt es ohne Warum eben darin, dass es sich selbst lebt. Sunder warumbe.«

»Sunder warumbe« ist mittelhochdeutsch und bedeutet soviel wie: »ohne Warum«, d.h. ohne bewusste geplante — strategische! — Absicht. In unserer Gesellschaft wird heute nahezu alles nach seinem (materiellen) Nutzen taxiert: »Was habe ich davon?«, so hört man oft. Selbst zwischenmenschliche Beziehungen sind davon nicht ausgenommen: Sie sind als Vitamin B Teil der eigenen Erfolgsstrategie. Wer seinen Nutzen für jemanden verliert, dessen Wert fällt schnell im Kurs. So wird man auch hinter einem scheinbar uneigennützigen Verhalten eine versteckte Kosten-Nutzen-Rechnung annehmen müssen.

Dieses nur noch am Nutzen orientierte Denken vergiftet die Gesellschaft, mehr noch: es untergräbt den eigentlichen Wert des Menschseins. Kontakt mit jemandem zu pflegen um des eigenen Nutzens willen pervertiert eine menschliche Beziehung. Am Schlimmsten jedoch ist, dass das nutzenorientierte Verhalten die menschliche Kreativität zerstört: denn Kreativität kann sich nur im zweckfreien Spiel entfalten.

Wenn Meister Eckhart dazu auffordert, »sunder warumbe« zu handeln, dann will er uns auf diese Zweckfreiheit, Authentizität und Kreativität hinweisen und damit auf den Kern unseres Menschseins. In der Mühle des Nutzens kann jeder schnell zu einem nutzlosen Rädchen werden. Statt dessen gilt es, den Zauber des Unnützen, des freien Spiels, des absichtslosen Schenkens neu zu entdecken. Dieses nicht Berechnende, dieses Nutzlose, dieses freie Spiel führt uns dazu, zur eigenen inneren Quelle vorzustoßen und damit — in den Worten Eckharts — aus dem Eigenen zu quellen.

Für meinen Alltag heißt das: Ich reserviere für mich an jedem Tag eine Zeit, in der ich etwas Unnützes, Spielerisches oder Zweckloses mache.

Vom Misstrauen zur Nächstenliebe
In gehobenen Managerkreisen ist bekannt, dass die sogenannte Spieltheorie das ethische Verhalten vieler Menschen prägt. Sie geht zurück auf den amerikanischen Mathematiker John Nash und besagt in Kürze, dass jeder Mensch das Vertrauen, das man in ihn setzt, missbrauchen kann, bzw. dass man jederzeit gewärtig sein muss, von anderen ausgenutzt zu werden. Jeder ist ein potenzieller Konkurrent. So wird die Welt zu einem Ort beständigen Misstrauens, wo jeder jeden belauert aus Angst, ausgenutzt zu werden.
Man kann es auch drastischer ausdrücken: Die Welt wird zum Irrenhaus. Das ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn tatsächlich ist John Nash an Schizophrenie erkrankt und so musste ihm die Welt als ein Ort permanenten Misstrauens erscheinen. Wirklich menschlich und angstfrei kann so niemand leben.
Meister Eckhart setzt dem eine andere Weltsicht entgegen. Er predigt:
»Hast du dich selbst lieb, so hast du alle Menschen lieb wie dich selbst.«
(Predigt 12)

Nächstenliebe hört sich wie eine ausgelutschte Phrase aus dem christlichen Zitatenschatz an: etwas milde, etwas fromm, etwas weltfremd. Sieht man sie allerdings unter dem Aspekt des »spieltheoretischen permanenten Misstrauens«, so wird deutlich, dass sie eine im wahrsten Sinne des Wortes weltverändernde Kraft hat. Die Welt des Misstrauens ist eng, die Welt des Liebenden ist weit. Die Welt des Misstrauens ist eine Welt des Kampfes jeder gegen jeden. Und so leben ja auch leider viele Menschen: menschenunwürdig.

Was aber ist denn das Besondere der Nächstenliebe? Ein Aspekt sei hier besonders hervorgehoben: Liebe ist schöpferisch und weist den Weg zu neuen Perspektiven. Wenn ich mich selbst und meine Mitmenschen mit den Augen der Liebe sehe, dann sehe ich in mir und in meinem Mitmenschen das, was ich selbst sein kann, aber noch nicht bin; das, was mein Mitmensch sein kann, aber noch nicht ist. Oder in den Kindern, dem Ehepartner, dem Mitarbeiter, dem Nachbarn.
Die Liebe nagelt niemanden auf das fest, was er gerade ist, vielmehr sieht sie ihn immer im Lichte seiner noch nicht verwirklichten Möglichkeiten. In diesem Sinne ist sie schöpferisch.
Genau so einen schöpferischen Blick auf sich selbst und den Mitmenschen braucht unsere Zeit mehr denn je. Nicht Routine, nicht Gleichgültigkeit, nicht Misstrauen ist angesagt, sondern der schöpferische Blick auf den Menschen, der ihn auf die Spur setzt, das zu werden, was er werden kann.
Es ist dann eine große Freude, zu erleben, wie ein Mensch sich entwickelt, wenn er diesen Weg einer neuen Lebensperspektive geht — und wenn er in seiner Seele neu wird. Dann breitet sich dieser Geist der gegenseitigen Bereicherung aus und die Welt hört auf, ein Irrenhaus zu sein, in dem jeder nur seinen kleinen Vorteil sucht.

 

"Mystische Nächte mit Meister Eckhart" an Sankt Sophien Hamburg

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